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31. Wigstadtler Heimattreffen in Göppingen am 18./19. September 2021

Ansprache der Vorsitzenden Hannelore Anderl bei der Gedenkfeier am Vertriebenengedenkstein in Göppingen am 18. September 2021

Sehr geehrte Anwesende, ein fester Bestandteil der Wigstadtler Heimattreffen ist das Totengedenken am Vertriebenengedenkstein in den Mörike-Anlagen in Göppingen am Vorabend des eigentlichen Heimattreffens. In diesem Jahr kommt noch ein weiterer Erinnerungsgedanke hinzu, nämlich der, an die „Vertreibung vor 75 Jahren aus der angestammten Heimat und die Ankunft in Deutschland im Allgemeinen und auch hier in Göppingen im Speziellen“.

Ich begrüße Sie sehr herzlich zu unserer kleinen Gedenkfeier, die von einem Bläsertrio der hiesigen Musikschule unter Leitung von Herrn Rainer Schnabel musikalisch umrahmt wird. Ich freue mich, dass Sie heute hierher in die Mörike-Anlagen gekommen sind. Ganz besonders begrüße ich Herrn Willi Schwaak, Hauptamtsleiter der Stadt Göppingen, der später auch zu uns sprechen wird, die Delegation aus unserer gemeinsamen Heimatstadt Wigstadtl/Vítkov mit Herrn Bürgermeister Pavel Smolka an der Spitze sowie unsere Ehrenvorsitzende Frau Hildegard Losert.

Wir haben uns heute hier versammelt, um unserer Toten zu gedenken; unseren verstorbenen Familienangehörigen, Freunden und ehemaligen Nachbarn, die noch in der alten Heimat verstorben sind oder die in ihren neuen Heimat­orten zur ewigen Ruhe gebettet wurden sowie der Toten auf den Schlachtfeldern der Kriege.

Wir gedenken auch der führenden Kräfte und Wohltätern unserer Heimat­bezirksgruppe, die uns schon in die Ewigkeit vorausgegangen sind. In unser Gedenken schließen wir aber auch unsere tschechischen Partner und Freunde ein, die heute nicht mehr unter uns sind.

Im Juni 2009 wurde zur Erinnerung an die auf dem Friedhof in Vítkov/Wigstadtl begrabenen deutschsprachigen Bewohner eine von Frau Hildegard Losert finanzierte zweisprachige Gedenktafel eingeweiht. Die Aufstellung des Steins erfolgte dankenswerterweise in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung Vítkov unter Ihrer Leitung, lieber Herr Smolka. Sie hatten zu unserer Freude im Vorfeld auch schon zahlreiche gesicherte Grabsteine deutscher Landsleute entlang der unteren und linken Friedhofsmauer aufstellen lassen. Inmitten dieser Grabsteine befindet sich der Gedenkstein von 2009, dessen Umfeld von der dortigen Friedhofsverwaltung in vorbildlicher Weise gepflegt wird.

Eingeschlossen in unser Gedenken sollen auch die Verstorbenen sein, die auf den Friedhöfen der Gemeinden des ehemaligen Gerichtsbezirks Wigstadtl ihre letzte Ruhe gefunden haben und deren Gräber nur noch teilweise vorhanden sind.

Für unsere verstorbenen Angehörigen in der alten Heimat, für die Gefallenen und Vermissten, für die Opfer von Flucht und Vertreibung, für die in der neuen Heimat verstorbenen Angehörigen und Freunde soll nun dieser Kranz nieder­gelegt werden und die Vertriebenenglocke läuten.

GEDENKEN

Seit dem letzten Heimatreffen im April 2018 haben uns wieder Menschen verlassen, die sich um die Landsleute aus Wigstadtl und den Gemeinden des Bezirks verdient gemacht haben: Herr Gustav Berger, am 10. Oktober 1930 in Wigstadtl geboren, ist am 10. Juli 2018 gestorben. Herr Gerhard Schwarz, am 25. April 1933 in Ratkau geboren, ist am 20. Februar 2020 gestorben. In der THC wurde ihrer ehrend gedacht.

Der christliche Glaube lehrt uns, dass die wirkliche Heimat bei Gott ist. So wollen wir für alle Verstorbenen beten, wie Jesus Christus uns gelehrt hat: Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Herr, gib ihnen die ewige Ruhe und das ewige Licht leuchte ihnen. Lass‘ sie ruhen in Frieden.  Amen.

Dieses Jahr ist aber nicht nur wegen Corona ein besonderes Jahr. Dieses Jahr jährt sich auch zum 75. Male der Höhepunkt der organisierten Zwangsaussiedlungen der Deutschen nach dem 2. Weltkrieg. Auch diesen Ereignissen wollen wir hier gedenken.

Über 14 Millionen Deutsche aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und den Ländern Ost- und Südosteuropas verloren im Zuge von Flucht und Vertreibung ihre angestammte Heimat. Man spricht von 2 Millionen, die dabei ihr Leben verloren. Wir wissen, dass all diese Ereignisse eng mit dem von Nazi-Deutschland entfesselten grauenhaften 2. Weltkrieg und dem Nationalismus des 20. Jahrhunderts verbunden sind.

Aber dennoch sind es 14 Millionen Einzelschicksale von Menschen, deren Leid erst einmal für sich steht, so wie das Leid der verfolgten Juden, Sinti und Roma oder der Menschen in den vom Krieg betroffenen Ländern wie Tschechien, Polen oder Frankreich nebeneinander steht und uns mahnt, solches in Zukunft zu verhindern.

Doch schauen wir in die Welt von heute, so sehen wir in vielen Ländern Flucht und Vertreibung – sei es Syrien, im Sudan oder ganz aktuell in Afghanistan – überall ist Flucht vor Verfolgung oder gar Vertreibung immer noch ein Mittel der Politik. So ist es wichtig, dass wir, liebe Anwesende, uns der Ereignisse erinnern, die die Älteren unter uns direkt, bzw. die Kinder- und Enkelgeneration indirekt betroffen haben, um daraus für die Zukunft im Kleinen und Großen zu lernen.

Denn auch aus Wigstadtl und den dazugehörigen zumeist deutschsprachigen Gemeinden des Gerichtsbezirks mussten die allermeisten Menschen ihre über Jahrhunderte angestammte Heimat verlassen. Sie teilten das Schicksal von insgesamt 3 Millionen Sudetendeutschen aus der damaligen Tschechoslowakei.

In folgenden 8 registrierten Transporten wurden über 8.300 Menschen vom Wigstadlter Bahnhof aus in Güterzügen nach Deutschland verbracht:

• 1204 Personen am 23.05.1946 nach Göppingen

• 1204 Personen am 10.06.1946 nach München-Allach

• 1108 Personen am 26.06.1946 nach Dachau

• 1155 Personen am 04.07.1946 nach Augsburg

• 1204 Personen am 18.07.1946 nach Regensburg

• 1208 Personen am 14.08.1946 nach Würzburg

•  934 Personen am 23.08.1946 nach Würzburg

•  298 Personen am 21.10.1946 nach Kitzingen.

Weitere ca. 2000 deutschsprachige Menschen aus dem Raum Wigstadtl wurden über Troppau oder über Österreich nach Deutschland zwangsausgesiedelt. Nur wenige Personen mit deutschen Wurzeln, zumeist aus gemischtsprachigen Ehen, durften bleiben.

Wie die Liste der Transporte zeigt, erreichte der allererste Transport aus Wigstadtl im Mai vor 75 Jahren die Stadt und den Kreis Göppingen. Dieser Transport war auch der allererste Transport direkt aus dem Sudetenland nach Göppingen.

Insgesamt musste die Stadt und der Kreis Göppingen im Jahr 1946 knapp 32.000 Vertriebene alleine aus dem Sudetenland und Ungarn sowie zuvor nach Österreich Geflüchtete aufnehmen, wofür der Stadt und den Gemeinden des Kreises unser herzlicher Dank gebührt. Die Aufgabe wir immens, da in Deutschland viele Städte zerstört waren und die Wirtschaft am Boden lag. Die Aufnahme war nicht immer nur herzlich. Manche hatten Glück und trafen auf verständnisvolle Menschen in den Häusern, in die sie zwangseinquartiert wurden. Andere traf es schlimmer und sie mussten viele Jahre bspw. in Barackenlagern leben.

Denken wir an die schrecklichen Nachrichten und Bilder, die uns die Medien heute täglich vor Augen führen, so erinnern uns diese oft an die schlimme Zeit vor 75 Jahren, als unsere Eltern und Großeltern und wir als Jugendliche und Kinder die Heimat in Sudetenschlesien und anderswo zwangsweise verlassen mussten. Meist waren es Frauen mit kleinen Kindern und alte Leute, die ohne Väter oder Söhne den Weg ins Unbekannte antreten mussten. Viele Männer waren im Krieg gefallen, waren vermisst oder in Gefangenschaft. In der neuen Heimat starben gerade in den ersten Jahren viele alte Heimatvertriebene an Kummer und Schmerz über den Verlust der angestammten Heimat.

Dennoch blieb die Liebe zur Geburtsheimat bei vielen im Herzen erhalten und als es wieder möglich war, in die alte Heimat zu reisen, nahmen sie diese Möglichkeiten wahr. Viel hat sich verändert im Laufe der Jahrzehnte. Andere Menschen bewohnen jetzt die verbliebenen Häuser und neue Generationen wuchsen in den vergangenen Jahrzehnten darin heran.

Bei den Besuchen seit 1991 wurden auch Kontakte zu den offiziellen Stellen in Verwaltung, Gesellschaft und Kirche geknüpft. Daraus entwickelten sich vielfältige Aktivitäten und auch gemeinsame Projekte, wie bspw. die Kirchenrenovierung in Wigstadtl/Vítkov.

Und hier schließt sich der Kreis: über die gegenseitigen Besuche und gemeinsamen Projekte kamen Deutsche und Tschechen ins Gespräch, nach Jahrzehnten eher geprägt von Sprachlosigkeit. Und gemeinsame Gespräche sind der Schlüssel für Verständigung, auch wenn die Sichtweisen aus den gemachten Erfahrungen heraus unterschiedlich sein mögen. Aber auch so etwas können Menschen guten Willens aushalten und weiter daran arbeiten, ein gemeinsames Verständnis zu schaffen. …

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